Kindergarten
"Malvorlage" für Aktivität: "Simplikus" ist eine von vielen Aktionen im Rahmen des Projekts Tägliche Bewegungseinheit.
UNIQA – Nessweda

Wien – Die erste Säule des Projekts Tägliche Bewegungseinheit (TBE) für Kinder und Jugendliche bilden an diesem Vormittag in einem Wiener Kindergarten dünne, bewegliche Beinchen. Ein Dutzend Mädchen und Buben halten, animiert von zwei Pädagoginnen, nicht still. Das ist gut so und ganz im Sinn des von der Uniqa-Stiftung finanzierten und in Zusammenarbeit mit dem Schulverein Simplystrong entwickelten Bewegungsprogramms "Simplikus – Zirkusspaß". Als "Malvorlage" für den Bereich Bewegung beschreibt Eva-Maria Britzmann, Projektleiterin von Simplikus, Trainerin und Vitalcoach, das von ihr entwickelte Programm, das hinter ihrem Rücken die Marias, Nicos und Mateas abspulen und sich ihres Publikums dabei sehr wohl bewusst sind.

Kindergartenkinder sollten entsprechend den Empfehlungen täglich zumindest drei Stunden körperlich aktiv sein. Das in den Alltag zu integrieren ist schwierig, "Simplikus", im Wesentlichen 25 Übungen mit oder ohne Geräte wie Ballons oder Seile, gibt ohnehin gut ausgelasteten Pädagoginnen ein Werkzeug zur Motivation der Kleinsten in die Hand.

Das große Ausrollen

Aktionen wie diese gibt es mittlerweile en masse. Teils gehen sie auf mehr oder weniger private Initiativen zurück, wie etwa am Sonntag beim 41. Vienna City Marathon, der in Rahmenbewerben auch tausende Kinder bewegt. Zum Teil steht die Politik dahinter. Jüngstes Beispiel: Die "Klassenchallenge", von Bildungsminister Martin Polaschek mit 3,5 Millionen Euro beflügelt, soll ab Ende Mai bis Ferienbeginn rund 7000 Schulklassen in Österreich animieren, sich Bewegungsziele zu setzen. Jede Klasse kann 500 Euro für ein solches Projekt lukrieren, und wenn es sich um ein Schwimmprojekt handelt, sogar 600 Euro.

Die Klassenchallenge fließt ein in die Tägliche Bewegungseinheit, formerly known as "tägliche Turnstunde". Seit Jahren wird sie propagiert, aber nur ansatzweise umgesetzt, sie soll Kinder und Jugendliche im Kindergarten und in Schulen auf Trab bringen, damit die Gesellschaft, salopp gesagt, nicht weiterhin immer fetter und träger wird. Hans Niessl, als Präsident von Sport Austria der oberste Sportfunktionär des Landes, läuft seit seinem Amtsantritt 2019 für die TBE, vor kurzem trommelte er, es sei ein Durchbruch gelungen. 2025 soll die TBE 82.000 Kindergarten- und Volksschulkinder, also 14 Prozent dieser Altersgruppe hierzulande, erreichen. Die drei Dachverbände (ASKÖ, Union, ASVÖ) helfen mit, Sportvereine schicken gut ausgebildete Coaches in die Schulen, die den Kindern (und Pädagoginnen und Pädagogen) die unterschiedlichsten Sportarten näherbringen.

Viel zu spät?

Niessl hat es geschafft, die Minister Werner Kogler (Sport), Magnus Brunner (Finanz), Johannes Rauch (Gesundheit) und Polaschek darauf einzuschwören, dass die TBE via Bund-Länder-Vereinbarung (§15-Vereinbarung) sichergestellt wird. Er sagt, es sei ein "window of opportunity" aufgegangen, weil gleich mehrere Minister erkennen, was der Sport bewirke. Der frühere burgenländische Landeshauptmann, der noch früher selbst Sportlehrer und Schuldirektor war, betont die Bedeutung des Sports im Integrationsbereich: "Kinder, die gemeinsam sporteln, haben ein Interesse daran, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, sich zu verständigen, gut miteinander auszukommen." Laut Niessl wird die Tägliche Bewegungseinheit "bis 2034 flächendeckend ausgerollt sein".

2034? "Das ist ein Hohn", sagt Sylvia, Mittelschullehrerin in Wien. "Das ist viel zu spät. Und wie soll das funktionieren? Es muss jetzt etwas passieren, uns steht das Wasser bis zum Hals!" Sylvias Schule steht stellvertretend für viele andere, nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich. Sie verfügt über zwei Turnsäle, hat aber das Problem, dass oft und oft vier Klassen gleichzeitig Turnunterricht haben. Bei Schönwetter wird in einen Park ausgewichen, bei Schlechtwetter wird es im Turnsaal eng und turbulent. "Uns fehlt hinten und vorne der Platz", sagt Sylvia. Manchmal geht sie mit einer Klasse in eine Trampolinhalle oder ein Schwimmbad. Aber das kostet so viel Zeit, dass es nicht mehr unter Turnunterricht, sondern unter "Ausflug" läuft, und einer Klasse stehen pro Schuljahr nur circa zehn solche Ausflüge zu. "Wenn wir ins Schwimmbad fahren", sagt Sylvia, "sind wir so lange unterwegs, dass sich für die Kinder vielleicht 25 Minuten im Wasser ausgehen."

Ab in den Container

In Wien sieht es aktuell so aus, als würde der Platz, auf dem sich Schulkinder bewegen können, eher weniger als mehr. Um dringend benötigten Schulplatz zu schaffen, werden an mehreren Standorten Containerklassen errichtet, da und dort geht dafür just auch Sportfläche drauf. Doch es liegt nicht nur an der Infrastruktur, dass sich immer weniger Kinder "g’scheit bewegen" können. "Viele wollen sich gar nicht bewegen, und viele schaffen einfachste Dinge nicht", sagt Sylvia, die Lehrerin. "Vom Purzelbaum oder vom Felgaufschwung rede ich gar nicht. Viele können nicht einmal rückwärts laufen."

Gerhard Angerer, Fachinspektor für Bewegungserziehung und Sport in der Bildungsdirektion Niederösterreich, gibt Sylvia in etlichen Punkten recht. Und fügt hinzu: "Vieles steht und fällt mit den handelnden Personen. Es gibt Direktorinnen und Direktoren sowie Lehrerinnen und Lehrer mit großem Engagement. Deren Schulen sind überall dabei." Bei Basketballturnieren, bei Turnmeisterschaften und, und, und. Aber es gebe auch Schulpersonal "mit viel Luft nach oben, wie in allen anderen Berufen auch. Und diese Schulen sind dann leider nirgends dabei." Dabei wäre es so wichtig, Kinder vom Handy und von der Spielkonsole wegzukriegen. Diesbezüglich wäre Angerer sowieso sehr strikt. Ich bin ein großer Befürworter von Handy-freien Schulveranstaltungen, vor allem auch Handy-freien Sportwochen. Ohne Handy reden die Kinder miteinander, spielen sie miteinander, haben sie Spaß miteinander."

Das Handy ist bei den Kindergartenkindern, die "Simplikus – Zirkusspaß" für Publikum mit Leben erfüllen, gerade noch kein Thema. Auf ihren dünnen, flinken Beinchen stehen sie für den bitternötigen Kulturwandel hin zu Bewegung und Sport. (Sigi Lützow, Fritz Neumann, 21.4.2024)